„Du bist ja auch schon alt, wie lange willst Du denn noch auflegen?“ Die Frage hat mir mal meine Schwester gestellt und mit ihr einige andere. Und ich hab sie immer gerne mit „Solange ich Bock habe und in Clubs gebucht werde.“ beantwortet. Nun, ich werde nicht mehr in Clubs gebucht. Niemand wird mehr in Clubs gebucht. Denn wir haben Lock Down durch die Corona-Krise. Zeit um über mein DJ-Selbstverständnis nachzudenken.
Denn auch wenn ich und alle anderen DJs nicht mehr gebucht werden, Bock auf’s Auflegen habe ich natürlich noch. Bock habe ich seit 20 Jahren. Und ungefähr die ersten acht Jahre meines DJ Daseins habe ich die meiste Zeit zu Hause aufgelegt. Logischerweise auch mit wenig bis keinem Publikum. Weil ich Auflegen an sich geil finde. Der Moment des Übergangs, wo für kurze Zeit etwas Neues entsteht, weil zwei Lieder gleichzeitig laufen. Geil. Mixtapes/Mix-CDs/Mixe aufnehmen, wo die Musikreihenfolge einen Sinn ergibt. Geil. Wegen sowas lege ich auf.
Ausserdem sind Schallplatten für mich was für andere Bücher sind. Ich bin nicht der Marcel Reich-Ranicki der Schallplatten, aber stabile Oberliga, würde ich sagen. Reicht mir auch. Selbst wenn ich meine Vinyl Sammelleidenschaft in Zeiten des digitalen Auflegens vernachlässigt habe. Darüber hinaus: Schallplatten sammeln muss sich auch erstmal leisten können.
Stell dir vor Du legst auf und … bist zuhause
Und momentan können sich viele Vollzeit-DJs relativ wenig leisten, so ohne Bookings und ungewisser Zukunft. Klar, der staatliche Zuschuss der (hoffentlich) geflossen ist, hilft bestimmt. Wird natürlich für hauptberufliche DJs kein Dauerzustand bleiben können. Mir fehlen auch ein paar hundert bis 1000 Euro pro Monat im Portemonnaie durch den Ausfall aller Gigs, aber da Auflegen nicht mein Hauptverdienst ist und man das Geld momentan eh schlechter unter die Leute bringen kann, geht’s bei mir und ich bin nicht existenziell bedroht.
Für viele Clubs sieht es dagegen eher mau aus. Man sieht überall Fundraiser aufploppen, mit teils super coolen Perks, teils eher zweifelhaften Goodies, die man sich klicken kann. Und wie das in einem, unter normalen Umständen, gut funktionierenden System so ist, geht’s einem Teil schlecht, welcher eher relevanter ist, kommt das ganze System durcheinander. Es kommt hinzu: Es darf bezweifelt werden, ob manche Player guten Willen zeigen (können) bei der ganzen Miesere. Ganz am Ende will oder kann eben immer wer nicht auf seine Kohle verzichten. So ist das nunmal.
Wir werden Kneipen, Bars und Clubs schließen sehen. Läden in die wir gerne gegangen sind und natürlich auch Läden, die uns herzlich egal waren. Was irre ist: Wir werden das auch bei denen sehen, die wirtschaftlich eigentlich gut aufgestellt waren. Die einfach nix dafür konnten, dass eine Pandemie, alias Corona-Krise, das Land und die Welt lahmgelegt hat. Und ganz ehrlich, wenn man auf einmal persönlich haften soll, für ewig hohe Kredite und man gar nicht weiß, wann es wieder einigermaßen wie früher werden wird … dann würde ich auch stark abwägen wie groß meine Liebe zum Nachtleben und wie stark mein Verstand ist, der nicht möchte, dass ich mich finanziell eventuell komplett ruiniere.
Corona-Krise ist keine DJ-Krise
Also alles erstmal Back to the Basics. Man legt wieder zuhause auf. Für sich, und wer sich da noch so im Haushalt tummelt. Und weil wir 2020 haben, hören und sehen wir jetzt natürlich auch viele, viele DJs die bei Instagram, Youtube, Twitch und Co. live gehen. Und ganz ehrlich, den Leuten, denen ich auf Instagram folge, die mag ich alle, aber BOY kennen sich einige davon nicht mal mit den grundlegenden Aspekten von Streaming-Technologie aus. Da wird das Handy krumm & schief hingestellt und drauf los gespielt. Furchtbar.
Fair Enough: Das funktioniert sogar bei Einigen und es hören ein paar Leute zu bei Instagram. Aber wohl vor allem, weil das gute Typen sind und man sich aus Sympathie reinklickt, auch weil man davon ausgehen kann ein paar bekannte „Gesichter“ in den Kommentaren zu sehen, die man momentan ja nicht mehr im Club, in der Bar, beim Friseur oder sonst wo in real trifft.
In der Zwischenüberschrift steht „Corona-Krise ist keine DJ-Krise“. Das stimmt für mich. Ich fühle mich in erster Linie als DJ. So lege ich halt wieder bloß für mich auf. Streame aber auch n bisschen, doch eher nicht über Instagram, sondern auf YouTube. Weil die Qualität besser ist und ich den Player gut auf meiner Livestream-Seite embedden kann. Für mich ist es ein bisschen so wie früher beim Radio. Mir kommt’s da auch gar nicht so sehr auf die soziale Interaktion an. Ich brauch da nicht pull, mir reicht da push. Wenn ich eh keine Leute am Tanzen halten muss, dann kann ich auch spielen wodrauf ich Lust habe, das macht mir große Freude. Und die Leute, die sich von mir bedudeln lassen, wissen das dann auch offenbar zu schätzen.
Und nicht zuletzt, ich kann mich auch ein bisschen technisch austesten, Multikamera Setup mit OBS, dies das. Endlich konnte ich mal wieder die Webcam nutzen, die jahrelang in einer Schublade lag. Sie hat zwar nur 720p Auflösung, aber selbst das ist immer noch mehr als bei Instagram im Livestream an Pixeln gestreamed wird. Und ganz ehrlich Leute, Hochkant ist wirklich kein geiles Format für DJ-Streams. Und die Instagram App auch nicht. Apps generell nicht. So wie Clubben für die meisten sich nicht nur um die Musik dreht, sondern auch um’s socializen. Und wenn ich auf meinem Smartphone nix anderes nebenbei machen kann, ist das eben suboptimal und man tendiert dazu doch mal zu gucken, wer einem da gerade eine Whatsapp geschickt hat. So weit, so gut … äh, weit.
Covid–19 wirbelt ganz schön unseren Alltag durcheinander. Aber auch das wird sich irgendwann wieder einpendeln. Und DJing wird wieder zu unserer Res Publica werden.
P.S.
Es ist doch auch irgendwie irre, dass erst eine Pandemie ausbrechen muss, damit ich mal wieder einen längeren Text veröffentliche. Mein Podcast sollte eventuell auch mal wieder aus der Sendepause aufwachen. Corona-Krise macht’s möglich.